Roggendorf, Ulrike: „Wie können wir leben / wenn wir lieben“.
Zur Situierung von Kaspar Stielers Bellemperie (Studium Litterarum, Band 13) ISBN 978-3-89693-479-6 (01/2007) 309 Seiten, Ebr., EUR 39,00 Im umfangreichen Œvre Kaspar Stielers (1632-1707) bildet der Komplex seiner Dramen einen bedeutenden Teil. Bellemperie, sein
einziges Trauerspiel, war bis heute nicht Gegenstand der Forschung. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Annäherung an einen Text, zu dem es bisher so gut wie keine Forschungsliteratur gab und der wohl singulär in seinem literarischen Umfeld steht. Dieses außergewöhnliche
Drama, seine Figuren und die mit ihnen verbundenen Handlungen darzustellen und zu analysieren, ist Inhalt dieser Studie. Auf die genaue Betrachtung seiner Quelle – The Spanish Tragedy von Thomas Kyd (1558-1594) – wird dabei besonderer Wert gelegt. Die Vernetzung beider „Tragödien“ bzw. deren Interpretationen stellen ein Grundprinzip dieser Untersuchung dar. Der Text wurde hier im Sinne eines „close readings“ analysiert, um nach der Darstellung seines wörtlichen Inhalts, seine strukturellen Elemente, seine kulturellen Inhalte, seine Polaritäten, die Wechselbeziehungen seiner Teile, seine Strategien und seine Dynamik zu verstehen. Die Einzelergebnisse wurden dann in den verschiedenen, relevanten Diskursen verankert. Beide Dramen entwerfen, vor dem Hintergrund der höfischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, ein eindringliches Bild der Verknüpfung von gesellschaftlichen Ambitionen, Liebe und Tod, wobei sie die Strukturen des absolutistisch, ständisch organisierten Staates unterlaufen. Ziel beider Texte scheint es zu sein, diesen kollabieren zu lassen. Beide Texte zeigen, daß soziale Mobilität, daß gesellschaftlicher Aufstieg bedeutende Themen sind. Doch in dem dargestellten sozialen Gefüge sind Veränderungen des gesellschaftlichen Standes nicht möglich. Vielmehr bildet deren Verhinderung eines der Schlüsselereignisse in beiden Dramen. Die Texte zeigen auch, daß in den Charakteren der dramatischen Figuren, besonders in den weiblichen, bereits ein individuelles, subjektives, emotionales Erleben sichtbar wird. Die Frauenfiguren grenzen sich eindeutig von den für sie definierten Normen ab. Die Wahl ihrer Partner ist ein wesentliches Element ihrer Selbstbestimmung. Die Entscheidung der Frauen ist ausschlaggebend für den Verlauf der dramatischen Handlung. In Bellemperie kommt dies jedoch deutlicher zum Ausdruck, ja es scheint, als sei im ganzen Bellemperie eine Intensivierung der Kydschen Tragödie.
Inhalt I. Einleitung II. Revenge Tragedy 1. Die europäische Seneca-Rezeption 1.1
Die Tragödien Senecas 1.2 Seneca-Rezeption in Europa 1.2.1 Seneca-Rezeption in England 1.2.2 Seneca-Rezeption in den Niederlanden 1.2.3 Die Etablierung des „Trauerspiels“ und die Seneca-Rezeption
in Deutschland 1.2.4 Die Begriffe „Trauerspiel“ und „Revenge Tragedy“ 2. Revenge Tragedy: The Spanish Tragedy und Bellemperie 2.1 Verlust und Erinnerung, Trauer und
Rache 2.2 Plot und Handlung der beiden Tragödien 2.2.1 The Spanish Tragedy 2.2.1.1 Der Plot 2.2.1.2 Dramaturgische Komponenten 2.2.2 Bellemperie 2.2.2.1 Änderungen und Modifikationen gegenüber der Spanish
Tragedy 2.2.2.2 Der Plot III. Kulturhistorische Elemente der Rachetragödie 1. Der Geist: Die Macht der Erinnerung 1.1 Die Verbannung des
Fegefeuers aus der protestantischen Welt 1.2 Die wandernden Geister 1.2.1 Die Allegorie der Rache als Funktion des Geistes in der Spanish Tragedy 1.2.2 Fürsorgliche Geister 1.2.3
Rachegeister 1.3 Die Kraft der Liebe 1.3.1 Die Geschichte des Guy de Corvo 1.3.2 Der Geist des Don Horazio – das Verlangen nach Rache 1.4 Resümee 2. Die Affektenlehre 2.1. Das Gemüt
des Menschen 2.2. Don Hieronimo: Wahnsinn als Weg der Rache 2.3 Bellemperie: Liebe als Wahn 2.4 Resümee IV. Ein funktionales Element: Die Allegorien
1.1 Gottheiten und Laster 1.2 Zelotes 1.3 Venus und Ehrgeiz 1.4 Venus und Erinnyen 1.5 „Sich rächen ist deß Teuffelsart/ verzeihen ist der Christenfahrt“: Nemesis und die Rache 1.6
Resümee V. Die Frauen 1. The Spanish Tragedy: Soziale Ambition und gesellschaftliche Abgrenzung – Belimperia, Don Andrea und Don Horatio 2.
Weibliche Rebellion: Prinzessin Bellemperie in Bellemperie 2.1 Heldinnen auf der Bühne 2.2 Bellemperies Handlung 2.3 Liebe als Ordnungsfaktor – Der Vermeinte Prinz 2.4 Thußnelda
und die Gehorsamspflicht der Tochter 2.5 Liebe 2.6 Weibliche Tugenden 2.7 Die Verwandlung von Schwäche in Stärke: Bellemperies Rache 2.8 Resümee VI. Die Männer
1. Don Lorenzo und Pedringano in der Spanish Tragedy: Der erste „machiavellische Schurke“ und der erste gekaufte Mörder im elisabethanischen Drama 2. Don Hieronimo - der Richter: Christlich-stoizistische Selbsterkenntnis und „himmlische Indifferenz“
2.1 Stoizistische Selbsterkenntnis 2.2 Der metaphysische Rahmen – die Konfrontation des irdischen Bedürfnisses nach Gerechtigkeit mit „himmlischer Indifferenz“ 2.3 Das „Spiel im
Spiel“: Hieronimos Spiel der Verstellung 3. Don Hieronymo und Don Horazio in Bellemperie: Die Konsequenzen des Mordes 3.1 Der Hof 3.2 Das Unvermögen des Fürsten 3.3 Menschen am
Hof 3.4 Neostoizismus 3.5 Geburtsadel und Beamtenadel 3.6 Don Horazios Geschichte: Seine Vernichtung durch die aristokratische Konkurrenz 3.7. Don Hieronymos Weg: Die Auflösung einer fürstlichen
Dynastie 3.8. Resümee VII. Das Fest VIII. Fazit und Ausblick IX. Literaturverzeichnis 1. Primärtexte 2. Sekundärtexte
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