Keller, Andreas: Michael Kongehl (1646-1710). Durchwandert ihn/ gewiß! ihr werdet anders werden ... Transitorische
Textkonstitution und persuasive Adressatenlenkung auf der Basis rhetorischer Geneseprinzipien im Gesamtwerk des Pegnitzschäfers in Preußen. (Studium Litterarum, Band 2) ISBN 3-89693-150-4 (02/2004)
846
Seiten, Ebr., EUR 79,00
Die erste umfassende Monographie zu Leben und Werk des Königsberger Ratsherren und
Bürgermeisters Michael Kongehl erfüllt ein lange gehegtes Desiderat, nicht nur im Sinne eines weiteren biographischen Bausteins zum Autorenpanorama der "Barockzeit". Die zahlreichen Publikationen zum
"Preußenjahr" 2001 haben eine Reihe von Aspekten zum Herrschaftsdiskurs im Hohenzollernstaat zur Sprache gebracht und dabei erneut ein fundamentales Manko der historischen Forschung bestätigt: Preußische
Geschichte wird stets unter dem Blickwinkel des 18. und 19. Jahrhunderts rekapituliert. Erfolg und Schicksal der brandenburgischen Monarchie finden ihre Deutung immer noch nach dem traditionellen Muster der
Einzelbetrachtung dynastischer Exponenten und ihrer Leistungen zwischen 1701 und 1918, ohne die eigentlichen Voraussetzungen, und damit die spezifische Vorgeschichte im namen- und titelgebenden Territorium
miteinzubeziehen. An diesem Punkt setzt nun die Studie zu einem bislang völlig unbekannten Protagonisten des Königsberger Gelehrtenwesens an und unternimmt unter methodisch und quellentechnisch völlig neuen
Voraussetzungen eine Problematisierung des hohenzollerschen Erhebungsaktes im Jahre 1701. Das poetische Wirken des Zeitzeugen Kongehl, der sich als Pegnitzschäfer in Nürnberg unter Sigmund von Birken ein
differenziertes oratorisches Rüstzeug erworben hatte, ermöglicht einen bislang vollkommen außer Acht gelassenen Zugang zu den bedeutungsvollen Ereignissen des späten 17. Jahrhunderts im damaligen Herzogtum Preußen.
Hier vollzogen sich nämlich im Vorfeld der Krönung eine Reihe von militärischen, politischen, konfessionellen und sozialen Auseinandersetzungen, in denen die Souveränität des Hohenzollernfürsten, und damit die
unabdingbare Voraussetzung für die Königswürde, keineswegs derart gesichert war, wie es die monarchistische Geschichtsschreibung etwa des 19. Jahrhunderts Glauben machen will. Kongehl, den die Forschung bislang
völlig zu Unrecht mit dauerhaften Verdikten wie "ostpreußischer Barockepigone" aus den Betrachtungen ausgeschlossen hatte, ist aber als bürgerlicher Autor und städtischer Administrator maßgeblich in die
Vorgänge verwickelt. Mit seinen rhetorisch meisterhaft durchkalkulierten Texten betätigt er sich als kluger Diplomat zwischen den politischen Fronten, zwischen Herrschaft, Rittertum, Stadtpatriziat und Theologentum.
Er versucht eine vermittelnde Strategie zu realisieren, die zur Festigung der fürstlichen Position zwar beiträgt, dabei aber einen Bedingungskatalog formuliert, der auf eine bürgerlich-konstitutionelle Monarchie
ausgerichtet scheint. Um für seine soziale Schicht, für das gelehrte Bürgertum, in der chancenreichen Umbruchsituation eine zukunftsweisende Perspektive der politischen Mitgestaltung und Mitbestimmung zu eröffnen,
bedient Kongehl sich einer wohldurchdachten Doppelstrategie: Die nachdrückliche Akzeptanz des brandenburgischen Schutzherrn verbindet er mit der breitenwirksam orientierten Vermittlung einer auf das autonome
Individuum bezogenen Erkenntnis-, Empfindungs- und Verantwortungskultur. Mit solcherart lebenspraktischer Schulung hofft der poetische Präzeptor die bürgerliche Schicht zu befähigen, sich schrittweise von dem mit
der lutherischen Orthodoxie herrschenden Adel zu emanzipieren und sich in den brandenburgischen Planungen eines kurfürstlichen Absolutismus als selbstbewußter Vertragspartner einzubringen. Anhand minutiöser
rhetorischer Analysen der Kongehlschen Dramen, Eklogen, Kasualia und Epen, vor allem auch ihrer allegorischen, emblematischen und metaphorischen Substrukturen und Subtexte, rekonstruiert die Untersuchung das
spannungsgeladene Operieren der unterschiedlichen Interessengruppen und beleuchtet somit einen fundamentalen Paradigmenwechsel, der für die preußische, deutsche und europäische Geschichte von weitreichenden Folgen
sein sollte. Daß sich die Hoffnungen Michael Kongehls auf eine vom Bürgertum getragene liberale preußische Monarchie nicht erfüllen sollten, bleibt nicht nur eine persönliche Problematik: sie läßt sich bei
entsprechendem Erkenntnisinteresse auch bei Autoren des 18., 19. und 20. Jahrhunderts weiter verfolgen, so daß das Werk des Frühneuzeitpoeten eine Fragekonstellation vorgibt, mit der sich vor allem auch die
nachfolgende Geschichte seiner als "Ostpreußen" in die belanglose Randzone des künftigen Imperiums gedrängten Heimatregion vermessen läßt. Auch Alfred Brust, Johannes Bobrowski oder Siegfried Lenz benutzen
noch die poetischen Versatzstücke, mit denen Kongehl seinerzeit ein preußisches Nationalbewußtsein aus osteuropäischer Warte zu konstituieren versuchte. In dieser Hinsicht gehört der Pegnitzschäfer vor allem auch in
den umfassenden Forschungskomplex einer 'Deutschen Literatur in Osteuropa'.
Inhalt I. Zur Forschungslage 1. Ein Barockdichter aus Ostpreußen? Michael Kongehl
als Objekt der Literarhistorie 2. Michael Kongehl als Subjekt der Literaturgeschichte: Annäherung mit den Instrumentarien einer rhetorischen Hermeneutik
II. Die intentionale Verknüpfung von Textsegmenten auf der Ebene von inventio und dispositio. Ermittlung eines textgenuinen scopus mit Hilfe stoffgeschichtlicher Kontrastverfahren 1. Der
Tugend edle Krohn – Auff die Schaubühne geführet von Michael Kongehl 1.1 Prinz Tugendhold (1691) und die Parabel vom Verlorenen Sohn 1.2 Die vom Tode erweckte Phönizia (1680?) und das Motiv des vorgetäuschten Ehebruchs 1.3 Der Unschuldig beschuldigten Innocentien Unschuld (1680?) und das Motiv der Keuschheitswette 1.4 Die Unvergleichlich=schöne Andromeda (1695) und die mythische Apotheose des Herrschers 1.5 These: Michael Kongehl – ein dienstwilliger Propagator des Absolutismus? 2. Dem Vater aller Preußen ein vivat!
Sechs Fallstudien zur Panegyrik auf die brandenburgischen Fürsten 2.1 Trauerhirtenspiel Carl Æmil (1675) 2.2 Das bedrückte Brandenburg (1675) 2.3 Gedoppelter Freudenhall (1678) 2.4 Als
Se. Chur=Fürstl. Durchlaucht Die völlige Possession Magdeburgs erlangeten (1680) 2.5 Ekloge auf den Tod Friedrich Wilhelms (1688) 2.6 Grußadressen 2.7 Bestätigung der These – Kongehl der gehorsame Fürstendichter
III. Die wirkungsmodifizierende Auskleidung des Textkonstrukts mit sprachlichen Techniken: Beobachtungen auf der Ebene der elocutio 1. Was ist die Poetische Elocution? 2. Leistungsmöglichkeiten der makrostrukturellen Kombinatorik auf der Gattungsebene: kontrastive Relativierungsparameter und deren soziale Implikationen im Misch=Spiel 2.1 Historische
Phänotypen der dramatischen Mischgattung 2.2 Die elokutionale Relativierung eines autoritären Zentrums im Misch=Spiel Michael Kongehls 3. Leistungsmöglichkeiten der definierenden und amplifizierenden
Bild- und Figurentechnik: Lehrhafte Evidenz von gesellschaftlichen Theoremen durch die Verbalisierung abstrakter Wesenheiten 3.1 Dramaturgische Visualisierung (Allegorie, Prosopopöie und Emblem) 3.2
Bildlichkeit auf einer dramatischen Teilebene: Verba translata (Metapher, Metonymie, Synekdoche) im Dialog 4. Leistungsmöglichkeiten elokutionaler Mikrostrukturen: Lexik, Rhythmik und Phonetik 5.
Notwendige Antithese: Michael Kongehl als Präzeptor des handlungssouveränen und eigenverantwortlichen Individuums IV. Der historische Kontext: Subjekt und Gemeinschaft im Herzogtum Preußen 1. Realien
und Rahmenbedingungen 1.1 Das Subjekt: Person und Lebensweg Michael Kongehls 1.1.1 Kindheit und Jugend in Preußen (1646-1670) 1.1.2 Peregrinatio und Aufenthalt im Reich (1670-1676) 1.1.3 Berufsjahre in Königsberg (1676-1710) 1.2 Die Gemeinschaft: Das Herzogtum Preußen und die Städte Königsberg zwischen 1640 und 1713 1.2.1 Landesherrschaft und Souveränität: Ständekonflikte 1.2.2 Kirchenherrschaft und Glaubensunion: Synkretistische Streitigkeiten 1.2.3 Poesie und Gelehrtentum in Preußen nach dem Ende der Kürbishütte 2.
Begriffsbildung im poetischen Kunstwerk I: Das Subjekt 2.1 Das Subjekt als partikulare Existenz aufgrund seiner nach außen gerichteten Bestimmung im urbanen Kosmos: Die Städtische Kasualdichtung 2.1.1
Handlungsbefugnisse und Einflußnahme des einzelnen im Kommunalgefüge der Städte Königsberg 2.1.2 Gemeinschaftsbildungen und Normen der bürgerlichen Selbstverwaltung im gestalteten Lebensraum ‚Stadt‘ 2.2
Das Subjekt als individuelle Größe aufgrund seiner inneren Bestimmtheit durch seelische Bewegkräfte: Die Geistlichen Eklogen 2.2.1 Herzfressende Unruhe und Belustigung bey der Unlust: Individuelle
Selbsterfahrung zwischen Psyche und Dogma und die Therapierung melancholischer Zustände durch die poetische Vermittlung von Glaubenswahrheiten 2.2.2 Die metaphysische Dimension der Sinnkrise und ihre Bewältigung
mit mystischen Techniken: Visuelle und auditive Erfahrungsvermittlung über das Medium Text als Hilfe für die seelische Erhebung des gottsuchenden Subjekts in der Natur 2.2.3 Conclusio: Wirkungsdimensionen
der Privatfrömmigkeit im preußischen Streit um akademische Dogmen 3. Begriffsbildung im poetischen Kunstwerk II: Die Nation 3.1 Nationales Bewußtsein aus Konfrontation mit der Aktualität: Der Reichskrieg
gegen Frankreich und die resultierende Problematik einer regionalen Identitätsbildung 3.1.1 Prutenio und Surbosia: Das Bekenntnis des Poeten zu seiner regionalen Gebürtigkeit 3.1.2
‚Nationalbewußtsein‘ zwischen Deutschem Reich und Territorialstaatlichkeit: Zum Begriff der ‚Nation‘ und seiner Problematik in der Frühen Neuzeit 3.1.3 Die unterschiedlichen Bewertungen der Ereignisse
von 1672 bis 1678 als Indikator für einen Neuansatz der nationalen Problematik 3.2 Die preußische Perspektive: Michael Kongehl und seine Surbosia (1676) 3.2.1 Das rezeptionsästhetische Spannungsverhältnis zwischen exordium und narratio:
Poetologische Bedingungen der ‚verblümten Erzählweise‘ 3.2.2 Rhetorische Analyse I (narratio): Das Preußenland und seine poetische Fassung – Geschichte, Feinde und Gefahren 3.2.3 Rhetorische
Analyse II (argumentatio): Die Preußische Nation und ihre Zukunft – Der gesuchte Retter und seine notwendigen Qualitäten 3.3 Der Historische Roman als ästhetisches Medium in der Auseinandersetzung um
die Konstitution eines regionalen Geschichtsbewußtseins und die Option eines neuen Nationalbegriffs ‚Preußen‘ 3.3.1 Die epische Darstellung der aktuellen mitteleuropäischen Konflikte und die
Nation-Problematik insbesondere aus der Perspektive östlicher Regionen 3.3.2 Die Frage des Landesbewußtseins im Spiegel von Historiographie und Literatur im Preußenland 3.3.3 Der Roman Kongehls als Beitrag zur
Staatsbildung ‚Brandenburg-Preußen‘: Identitätsfragen zwischen Union und Separation – Kontinuitäten frühneuzeitlicher Staatsbildungsprozesse zwischen poetischer Projektion und politischer Realität
V. Wirkungsästhetische Beobachtungen. Zur Transitorik der Texte hinsichtlich einer subjektiven und sozialen Wirklichkeit 1. Selbstverständnis und Statuszuweisung: Inspiration, Intention und Invention 1.1
Erfahrungsräume der Dichtkunst: Der Poet als vates 1.2 Gesellschaftliche Bezugssysteme: Der Poet als souveräne sozialethische Instanz 1.3 Textgenetische Realisation: Poesie als ingeniöse Vermittlung von
göttlicher Eingebung, gesellschaftlicher Intention und sprachlicher Technik 2. Vermittlungsziele und transitorische Technik: Das graduale Parcourprinzip als dispositives Instrument der aktivierenden
Adressatenbewegung 2.1 Oratorische Kunst und künstlicher Raum: Architektur im Dienste von persuasio und memoria 2.1.1 Die persuasio als begehbare Disposition in prototypischen Realisationsformen: Stadt Danzig, Kloster Schöntal und Schloß Bruchsal 2.1.2 Kongehls ‚Tugendtempel‘ als Rezeptionsmodell und Lektüreanleitung 2.1.3 Architektur und Raumkonzept im Dienste der memoria 2.2
Oratorische Kunst und natürlicher Raum: Landschaft und imaginierte Naturbegehung im Dienste von consolatio und elevatio 3. Michael Kongehls tatsächliche Rezeption VI. Michael Kongehl und die
Problematik seines Scheiterns in der Forschungsperspektive einer preußischen Literaturgeschichte VII. Bibliographischer Anhang 1. Werkverzeichnis 1.1 Werke 1.2 Briefe und Handschriften 2.
Rezeptionsgeschichtliche Bibliographie 2.1 Bibliographien 2.2 Nachschlagewerke 2.3 Quellen 2.4 Editionen in Auswahl 2.5 Würdigungen und Untersuchungen 2.6 Widmungen und Erwähnungen ohne nähere
Umschreibung 3. Stoffgeschichtliche Bibliographie 3.1 Phönizia 3.1.1 Primärtexte 3.1.2 Literatur zur Stoffgeschichte 3.2 Innocentia 3.2.1 Primärtexte 3.2.2 Literatur zur
Stoffgeschichte 3.3 Prinz Tugendhold 3.3.1 Primärtexte 3.3.2 Litertur zur Stoffgeschichte 3.4 Andromeda 3.4.1 Primärtexte 3.4.2 Literatur zur Stoffgeschichte 3.5 Surbosia 3.5.1
Epische Werke 3.5.2 Narrative Einzelsegmente: Die Kalkbrenner- und die Brieffälschungsepisode 3.5.3 Landesallegorien und Kriegsdarstellungen 3.6 Vita Christi 3.7 Kasualia 3.7.1 Zum Tod des Kurprinzen
Carl Aemil (1675) 3.7.2 Zum Sieg bei Fehrbellin (1675) 3.7.3 Stettin (1677) 3.7.4 Zum Tod des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1688) 3.7.5 Zur Ankunft Friedrichs III. (1690) 4. Gattungsgeschichtliche
Bibliographie 4.1 Gemischte Dramenform 4.2 Höfisch-Historischer Roman 4.3 Kasualdichtung 4.3.1 Personalschrifttum 4.3.2 Leichendichtung 4.4 Weltliche und Geistliche Ekloge 4.5 Texte zu Andacht
und Erbauung 4.6 Textsammlungen, Anthologien, Wälder 5. Systematische Bibliographie 17. Jahrhundert 5.1 Staatswesen und Politik 5.1.1 Allgemeine Untersuchungen und Quellen 5.1.2 Altpreußen 5.1.3
Kurfürstentum Brandenburg/Königreich ‚Brandenburg-Preußen‘ 5.1.4 Polen 5.1.5 Nürnberg 5.1.6 Thematische Einzelfragen 5.2 Systematische Theologie und Kirchenwesen 5.2.1 Allgemeine Untersuchungen
und Quellen 5.2.2 Altpreußen 5.2.3 Brandenburg 5.2.4 Polen 5.2.5 Nürnberg und Franken 5.2.6 Thematische Einzelfragen 5.3 Poetik und Literatur 5.3.1 Literaturgeschichtliche Probleme des 17.
Jahrhunderts 5.3.2 Textgenese 5.3.3 Zum Selbstverständnis des Autors 5.3.4 Thematische Einzelfragen 5.3.5 Dialogische Formen 5.3.6 Epische Formen 5.3.7 Versifizierte/strophische Formen 5.3.8 Zur
Problematik der Kasualia 5.3.9 Formen und Institutionen der literarischen Rezeption 5.3.10 Regionale Untersuchungen 5.4 Hilfsmittel 5.4.1 Bibliographien und Forschungsberichte 5.4.2 Nachschlagewerke
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