Veit, Carola: Ich-Konzept und Körper in Becketts dualen Konstruktionen
(Körper ♦ Zeichen ♦ Kultur 13) ISBN 3-89693-257-8 (10/2002)
248 Seiten, 22,7 x 15,3
cm, 10 Abb., Kt., EUR 22,00
„Denn in mir gibt es neben anderen immer zwei Hanswurste: einen, der immer
nur da bleiben möchte, wo er gerade ist, und einen, der sich einbildet, dass es ihm etwas weiter weg etwas weniger schlecht gehen würde“, so schreibt Beckett in seinem Roman Molloy (1951). Duale Strukturen und Dualismus sind schon früh sowohl in
der Prosa als auch in den Theaterstücken Becketts bemerkt worden. Seit einem halben Jahrhundert hat sein Facettenreiches Werk die ungebrochene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Forschung
gefunden. Den jeweils vorherrschenden Denkweisen folgend ist in den Texten die cartesianische Unterscheidung von Körper und Geist, die absurde Kluft zwischen Ich und Welt, die erkenntnistheoretische
Subjekt-Objekt-Trennung, die sprachliche und gesellschaftliche Entfremdung, die Subjektauffassung vom Ich als dem anderen, die schizophrene Bewusstseinsspaltung sowie formale Dichotomien konstatiert worden. Der
vorliegende Band, ein Handbuch zu Beckett, widmet sich nun dem Desiderat einer Zusammenführung dieser verschiedenen Dualismen zu einem umfassenden Gesamtsystem inhaltlicher Fragen, formaler Entwicklung und
kunsttheoretischer Reflexionen Becketts. Detaillierte Analysen der einzelnen literarischen Texte gehen dem Verhältnis zwischen den Erzählten und den von ihnen als Alter-ego entworfenen Protagonisten sowie den
Handlungsmotiven der Figuren und ihrem Verhältnis zum Körper nach, um daraus Becketts sich wandelndes Ich-Konzept abzulesen. Sie verfolgen, wie sich Spiegelbildlichkeit, Autismus und Ich-Spaltung in ästhetische
Figuren transformieren und zu Becketts spezifischer, dualistischer Schreibweise und Motivik – etwa den Figurenpaaren – führen und wodurch sich poetologische Wendepunkte einleiten. Die Autorin hat
bereits verschiedene Aufsätze zu Beckett publiziert, sie ist u.a. die Mitherausgeberin des Bandes Samuel Beckett Today / Aujourd’hui: Endlessness in the Year 2000 und hat an der Humboldt-Universität zu Berlin gemeinsam mit Angela Moorjani und Peter Brockmeier mehrere wissenschaftliche Tagungen zu Samuel Beckett organisiert.
Inhalt
Einleitung: der Dualismus – Begriffsbestimmung
I. Der Ich-andere-Dualismus: das Frühwerk 1. Zwiespältige Sexualität: Assumption und Echo’s Bones a)
Sexualität und Schreiben b) Primäre Ich-Spaltung c) Gegenstrategien: Gleichheit der Gegensätze, Weder-Noch, Inversion 2. Dialektische Bewegung des Protagonisten zwischen Ich, anderen und Selbst: Dream
of Fair to middling Women a) Pseudo-platonisches Selbstbild b) Selbst: sekundäre Ich-Spaltung und Entindividualisierung c) Die Störung d) Bilder der Dualität und Triplizität e) Die Kehrseite
des Selbstschutzes f) Der Körper als materieller Existenzbeweis g) Frühe poetologische Position des Anti-Realismus 3. Dualistische Grundkonzeption des Ichs und gesellschaftliche Entfremdung: More
Pricks than Kicks a) Dualistisch-idealistisches Ich-Modell b) Intersubjektiver Dualismus c) Circulus vitiosus der Grausamkeit d) Gegenmodelle unwillentlicher Empfindung
4. Der schizoisierende Effekt des Ich-andere-Konflikts: Murphy a) Effekte der anderen auf das Ich: Zerrissenheit und Inexistenz b) Rückzug in den Geist und Konstruktion von Autonomie c)
Konstruktion eines konstituierenden anderen d) Verkennen von Realität und Vorstellung e) Schizoide Handlungsstruktur des Protagonisten f) Schizoides Verhalten des Erzählers g) Materialität und Wortsinn
II. Entwicklung der dualistischen Écriture: zwischen Frühwerk und Trilogie 1. Sprachkritik und
neue Schreibweise: Watt a) Verabschiedung der äußeren Realität b) Linguistischer und hermeneutischer Dualismus c) Gegenmodell der ästhetischen Haltung d) Hermeneutischer Zirkel e)
Einsetzende Transformation des autistisch-narzisstischen Zustands zum äußeren Rahmen f) Die Funktion der Sprache in der erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Trennung bei Mauthner g) Plädoyer für
eine poetische Sprache h) Schreibweise der Unmittelbarkeit: reifizierte Metaphern 2. Schizoide Mechanismen als narrative Verfahren: Nouvelles a)
Selbstreferentieller Ich-Erzähler b) Aufwertung des fiktionalen Spiels c) Formale Dualismen 3. Das Motiv des Pseudopaares als Konkretisierung des Zwiespalts im Ich: Mercier et Camier
a) Bewusstseinsinhalt des Ich-Erzählers: das Protagonistenpaar b) Geburt der Rede aus dem Widerspruch c) Schweigen ist Leben d) Das Spiel als subjektive Wirklichkeit
4. Verräumlichung des Ich-andere-Konflikts: Eleutheria a) Konkretisierung des Bewusstseinsraums im Theater b) Unmöglichkeit der Freiheit c) Erste poetologische Wende: Einsicht ins Scheitern
der frühen Zielsetzung d) Kunst als Kompromiss zwischen Ich und anderen
III. „Je est un autre“ – Abschied vom Selbst: die Trilogie und Godot 1. Vorstellung vom Ursprung des Zwiespalts: Molloy
a) Fremdbestimmtheit des Handelns b) Auf dem Weg der Selbstfindung: die Reduktion c) Eingeständnis ans Scheitern: die Vorstellungen 2. Selbstkonstitution als Scheiternder im Lebensrückblick: Malone
meurt a) Pessimistisches Gesellschaftsmodell b) Abspaltungen, Inkohärenz und wirkungsästhetische Sinnstiftung c) Pessimismus und Kunst bei Schopenhauer
3. Aufspaltung des Ichs in unbegreifliche Symmetrien: En attendant Godot a) Formalisierung im Theater: die Verdoppelung des Paares b) Unentscheidbare Dualität c) Vorstellung und Reduktion auf der
Bühne 4. Desintegration des Ichs: L’innommable a) Selbstbilder aus Worten der anderen b) Die Inexistenz des Selbst c) Der „Tod des Subjekts“ in der Mitte des 20.
Jahrhunderts d) Zweite poetologische Wende: Einsicht in das Illusionäre der frühen Zielsetzung 5. Die Folge von L’innommable: Textes pour rien
IV. Orte, um Ordnung zu schaffen: Neuorientierung im Theater 1. Becketts Weg in die späte
Schreibweise: Fin de partie a) Radikal-konstruktivistische Position b) Suspension des Ich-Erzählers im Theater c) ‚Realität’ und Fiktion d) Kampf des widersprüchlichen Verlangens e)
Wirkungsästhetische Umsetzung 2. Die anonyme Kraft aus dem Off: Acte sans paroles I und // 3. Der Protagonist und seine Stimme: Krapp’s
Last Tape a) Selbstverleugnung b) Dichotomische Bühnengestaltung c) Zusammenfall von abgespaltenen Inhalten und ‚äußerer Realität’ 4. Die Dissoziation: Happy Days
a) Verdrängung der res extensa b) Solipsistisch-autistischer Entwurf der Protagonistin von Wirklichkeit c) Inszenierung des entmachteten Ichs 5. Die Frage von fiktionaler Realität und fiktiver
Wirklichkeit: Hörspiele a) Autistische Verkennung b) Realitätsprüfung
V. Im Zeichen von Unwissenheit und Ohnmacht: das Spätwerk 1. Neubeginn als desintegriertes Ich: Comment c’est
a) Erzählsituation der Ohnmacht b) Irrationale Logik c) Der Schädel d) Realität der Fiktion 2. Externalisierung der Stimme: Bruchstücke und Fragmente a) Abspaltung und Wiederkehr b)
Konkretisierung externalisierter Inhalte c) Das Verhältnis von Stimme und Hörer 3. Externalisierung des Blicks: Foirades, Play, Film und Eh Joe a) Personifizierung des
Blicks b) Die Kamera als Akteur c) Schädel, Hörer, Stimme, Blick: Zusammenspiel der Fragmente des Ichs 4. Wirkungsästhetische Realisierung der Ohnmacht a) Automimetische Abbildung der Vorstellung:
Prosa der 60er Jahre b) Vorstellung als sinnliche Realität: dramaticules der 70er Jahre c) Vorstellung als virtuelle Realität: Fernsehspiele und dramaticules der 80er Jahre d) Reine Vorstellung und Konfusion der letzten Konstituenten: Prosa der 80er Jahre
Zusammenfassung: Becketts dualistisches Gesamtkonzept im Wandel vom Idealismus zum Konstruktivismus – neither Literaturverzeichnis Register
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