Keith, Thomas: Poetische Experimente der deutschen und russischen
Avantgarde (1912-1922) – ein Vergleich (IFAVL, Band 90) ISBN 3-89693-440-6 (07/2005)
403 Seiten, 22 x 15 cm, 39 Abb., Kt., EUR 59,00 Diese Arbeit, von Interesse für Literaturwissenschaft und (interdisziplinäre) Avantgardeforschung,
untersucht die Konzeption und Realisierung einer Poetik und poetischen Praxis im Geist des Experiments in der deutschen und russischen Avantgarde (Dada bzw. Kubofuturismus) im Zeitraum von 1912 bis 1922. Eine
systematische Vergleichsperspektive auf diese beiden geistesverwandten und dennoch in ihren kontextuellen Bedingungen, künstlerischen Strategien und kompositorischen Verfahren differierenden Gruppierungen war
bislang nur in Ansätzen entwickelt. Ziel dieser Studie ist eine Analyse und typologische Darstellung interkultureller Kongruenzen und kulturspezifischer Kontraste. Die besprochenen Produktionen werden als
verschiedene, doch verwandte Ausprägungen avantgardistischen wahrnehmungsemanzipatorischen und kulturrevolutionären Handelns durch Manipulationen an und mit Zeichensystemen profiliert. Von den ausgewählten Texten
werden einige hier zum ersten Mal eingehender behandelt. Die Konzeption der Arbeit will unter anderem ein in der Forschung weit verbreitetes Avantgarde-Verständnis westlicher Dominanz korrigieren, in dem der
russischen Dichtung lediglich die Rolle einer Rezipientin oder Imitatorin von Vorgaben aus dem Westen zugeteilt wird. Thomas Keith, geb. 1972, Absolvent der Humboldt-Universität Berlin, seit 1999 Engagements als Lektor für deutsche Sprache in Russland. 2004 Promotion zum Dr.
phil. Schwerpunkte: Literatur des 20. Jahrhunderts, vor allem Avantgarde/Neoavantgarde; Barock; Romantik; philosophische Ästhetik/Literaturtheorie. Bisherige Veröffentlichungen: Aufsätze vor allem zur
Literatur der Avantgarde in deutschsprachigen und russischen Zeitschriften und Sammelbänden; Monographie: Nietzsche-Rezeption bei Gottfried Benn (Köln 2001); Übersetzungen für Sergej Birjukov: Jaja, Dada (Leipzig
2004); journalistische Arbeiten.
Inhalt Prolog 1. Zum Thema und Anliegen 2. Der Forschungsstand 2.1 Deutsche Avantgarde 2.2
Russische Avantgarde 2.3 Komparatistisch 3. Formale Erklärungen A
Theoretische Vorarbeit I Forschungsobjekt ‚Avantgarde‘ – Begriffliches und Methodisches 1. Vorbemerkungen zur Bedeutung der Begriffsgeschichte 2. ‚Historische Avantgarde‘ 3. Avantgarde-Theorien und –Definitionen 3.1 Ein Katalog von
Avantgarde-Charakteristika als Vergleichskriterien 3.2 Deutsche und russische Avantgarde 3.3 Peter Bürgers Theorie der Avantgarde als möglicher Anknüpfungspunkt? 3.4 Ein komparatistisches Schema der
europäischen Avantgarden 3.5 Prinzipien eines semiotischen typologischen Vergleichs 3.6 Für einen aisthetischen Avantgardbegriff II Weitere terminologisch-methodische Klärungen 1. ‚Poetische
Experimente‘: Begriff und Gegenstand 1.1 ‚Poetisch‘ 1.2 ‚Experimente‘ – am und mit dem Material Sprache 1.3 ‚Experiment‘ in der Literaturgeschichte – ein kurzer
Abriss 1.4 ‚Experiment‘ als Metapher 1.5 Charakteristika des Experiments in Kunst und Literatur 1.6 Phonetisches und visuelles Dichten als Experimente 2. Methodische Ergänzungen 3. Der Einfluss
Friedrich Nietzsches auf avantgardistisches Dichten 3.1 Sprachskepsis, Sprachkritik 3.2 Leben als Kunst 3.3 Physiologische Ästhetik 4. Poetische Experimente als Spiele 4.1 Spielregeln 4.2 Spiel versus Arbeit, ‚Ernst des Lebens‘ 4.3 Spiel als Erkenntnis, Welterschließung – Welt als Spiel 4.4 Kunst und Spiel 5. Präliminarien zu einem Vergleich zwischen Dada und Kubofuturismus
III Der Hintergrund des poetischen Experimentierens in der russischen Avantgarde 1. Die kubofuturistischen Avantgarde-Gruppen 1.1 Gileja 1.2 41° 2. ‚Psychische
Evolution‘ 3. Wirkung von Verfahren der Malerei – ‚faktura‘ 4. Primitivismus B Lautpoesie I Zur Beschäftigung mit Lautgedichten 1. Begriffsbestimmung 2. Die Rolle der akustischen
Realisation 3. Lautpoesie und Musik 3.1 Musik und Sprache – Ähnlichkeiten und Unterschiede 3.2 Musikalische Bedeutungen – semiotische und andere Erklärungsversuche 3.3 Das Verhältnis zwischen
Musik und Poesie im Allgemeinen, Musik und Lautpoesie im Besonderen 4. Vorgeschichte und Vorformen 5. Analysekriterien II Zaum’ 1. Grundlagen und Programme 1.1 Adamismus 1.2 Zaum’ als linguistisches Phänomen 1.2.1 Eine zaum’-Klassifikation 1.2.2 Zaum’ und Lautsymbolismus 1.2.3 Zaum’ und andere nichtnormgerechte Sprachformen 1.2.4 Zaum’ als „Ballett der Sprechorgane“ 1.3 Verschiedene zaum’-Programme
und -Theorien 1.3.1 Chlebnikov versus Krucënych 1.3.1.1 Chlebnikov und zaum’ 1.3.1.2 Krucënychs zaum’ dagegengehalten 1.3.1.3 Chlebnikov und Krucënych – zwei Programme des russischen Futurismus 1.3.1.4 Sem- und Laut-zaum’ 1.3.2 Lautdichtung/zaum’ bei 41° 1.3.2.1 I. Zdanevic 2. Analysen 2.1 Anton Lotov – Wer war der erste russische Lautdichter? 2.2 Aleksej Krucënych: der hartnäckigste Zaumniker 2.3 Ol’ga Rozanova, Malerin + Lautdichterin 2.4 Velimir Clebnikov – Hexen, Nixen, Götter & ein Pharao als Affe 2.5 Il’ja Zdanevic: zaum’ als Dramentext
III Dada 1. Hugo Ball – „magischer Bischof“ und Cabaretist 1.1 Geistig-künstlerischer Hintergrund 1.1.1 Die einschlägige Textgrundlage / Der Status des literarischen Tagebuchs 1.1.2
Die Einstellung zur Sprache 1.1.3 Abstrakte Malerei 1.1.4 Poetische Vorläufer 1.1.5 Kandinskij 1.2 Das „Cabaret Voltaire“ und die Zürcher Gruppe 1.2.1 Balls Theaterkonzept und das „Cabaret
Voltaire“ 1.2.2 Die Cabaret-Gruppe 1.3 Die Aufführung 1.4 Die Textebene – die Laute 1.4.1 „KARAWANE“ 1.4.2 „Wolken“ 1.4.3 „Gadji beri bimba ...“ 1.4.4
„Totenklage“ 1.4.5 „Seepferdchen und Flugfische“ 1.4.6 „Katzen und Pfauen“ 1.5 Zusammenfassende Beurteilung 2. Raoul Hausmann: Poesie als körperlicher Prozess 2.1 Ein kurzer
Forschungsbericht 2.2 Die Entstehungsbedingungen: Dada Berlin & Dadasophie 2.2.1 Arbeit am Begriff ‚Dada‘ – im Allgemeinen und in Berlin 2.2.2 Hausmanns Dadasophie 2.2.2.1 Dada Berlin als
Rahmen 2.2.2.2 Wichtige geistige Anregungen 2.2.2.3 Die Form des Manifests 2.2.2.4 Die weltanschauliche Positionierung des Dadasophen 2.2.2.5 Hausmanns theoretische Begründung phonetischer Poesie 2.3
Die einzelnen phonetischen Experimente 2.3.1 „Seelenautomobil“ 2.3.2 „bbbb“ 2.3.3 „Plakat-Gedichte“ 2.3.4 „kp’erioum“ 2.3.5 „SOUND-REL“ 2.4 Das „Ballett der
Artikulationsorgane“ in Hausmanns phonetischer Dichtung 2.5 Vergleiche mit Ball 2.6 Zu Kurt Schwitters „Ursonate“ IV Zaum’- und Dada-Lautdichtung im Vergleich 1. Der
Forschungsstand 2. Vergleich der theoretischen Motivation und Zielsetzung 3. Vergleich der phonetischen Gestalt und der Strukturprinzipien 4. Vergleich der Wirkung und Wirkmöglichkeiten 4.1
Emotional 4.2 Spracherneuerung 4.3 Entautomatisierung, Perspektivierung 4.4 Ästhetische Innovation 4.5 Physiologisch und energetisch: ‚Neues Sehen‘ und „Ballett der Sprechorgane“ 4.6
Vorsymbolisch: Regression in der Onto-, Psycho-, Subjektgenese 4.7 Metasemiotisch: andere Weltmodellierung 5. Kulturelle Spezifika C Visualisierte Poesie I
Charakteristika und Methodologie 1. Definition, zentrale Spezifika 1.1 Begriffsumfang 1.2 Wort- versus Bildzeichen 1.3 Literatur oder bildende Kunst? 1.4 Die Rolle der Schrift 1.5 Poesie der
Fläche 1.6 Mediale Veränderungen 2. Geschichte 2.1 Visuelles Dichten als Manierismus? 2.2 Die Idee einer Gattungsmischung 2.3 Abstrakte Figurengedichte und dislozierte Buchstaben; die Rolle der
modernen Typographie 2.4 Visuelle Poesie versus Versuche der historischen Avantgarde? 3. Der Gang der Analyse II russischer Futurismus 1. Das kubofuturistische Buch 2. Krucënych – kubofuturistischer Bibliomane 2.1
„Vzorval’“ 2.2 ‚Suprematistische‘ zaum’ 2.3 Die ‚autographischen‘ Büchlein 3. Der „Eisenbeton“-Dichter Vasilij Kamenskij 3.1 „Zelezobetonnye poemy“
[„Eisenbeton-Gedichte“] 3.1.1 „Eisenbeton-Gedichte“ &/versus „parole in libertà“ 3.1.2 Exemplarische Analyse von „Konstantinopol’“ 3.1.3 Einschätzungen 3.1.4 Dichtung im
öffentlichen Raum 3.2 „Telefon – Nr. 2V-128“ 4. I. Zdanevic, Typograph 4.1
„Zochna“ & „Zochna i zenichi“ [„Zochna und die Brautwerber“] 4.2 lidantJU fAram 5. Varvara Stepanova: Dichtung aus dem Geiste der Malerei 5.1 „Rtny chomle“ & „Zigra
ar“ 5.2 „Gaust caba“ III Dada 1. Hausmann: Typographie und
‚Optophonetik‘ 1.1 Voraussetzungen 1.1.1 Vorlauf: Dada Zürich 1.1.2 Hausmanns Einstellung zur Typographie 1.2 Die Beispiele visualisierter Poesie 1.2.1 „grün“ 1.2.2
„Plakat-Gedichte“ 1.2.3 ‚Optophonitische‘ Gedichte 1.2.4 „SOUND-REL“ 1.2.5 „dadadegie“ (mit Johannes Baader) 2. Schwitters – „Merz“ 2.0 Forschungsstand 2.1 Das
„Merz“-Kunst-Konzept 2.2 Die Exempel visuellen Experimentierens 2.2.1 „Stempelzeichnungen“ 2.2.2 ‚Bildgedichte‘ 2.2.3 Alphabet-Gedichte 2.2.4 Zahlengedichte 2.2.5
„i-Gedicht“ IV Die visuelle Dichtung der beiden Avantgarden im Vergleich 1. Vergleich der programmatischen/konzeptionellen Einbettung 2. Vergleich der technisch-strukturellen Ebene 2.1
Reduktion des Sprachmaterials 2.2 Poesie oder Bildkunst? 2.3 Typographie – Poesie der Fläche – Material-Vielfalt 2.4 Expressivität versus Konstruktivität 2.5 Fakturierung:
Material-Intensitäten; Aisthetik der Schrift 3. Vergleich der Wirkung und Wirkmöglichkeiten 3.1 Ästhetische Innovation 3.2 Metapoetisch: Dichtung im visuellen Zeitalter 3.3 Körperlich-energetisch 3.4
Bremsung, Entutilitarisierung und -konditionalisierung der Wahrnehmung – Starren statt Lesen 3.5 Metasemiotisch: Dekonstruktion kultureller Zeichensysteme 3.5.1 Zahlen 3.5.2 Schrift 4. Kulturelle
Spezifika D
Finale: Abrundung des Vergleichs 1. Interkulturelle Avantgardizität 2. Originalität 3. Übernationalität oder nationale Orientierung? 4.
Primitivismen und ihre Funktion 5. Avantgardistische Leitkünste 6. Ablehnung der herrschenden Kultur als gemeinsames Ziel der Avantgarden 7. Die Frage nach dem Publikum avantgardistischer poetischer
Experimente 8. Die Aktualität der (historischen) Avantgarde Bibliographie Alphabetisch Thematisch Anhang: Velimir Chlebnikov, „Bogi [Götter]“
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