Ley, Klaus: Die Wiederkehr des „Sublimen“. Die Kontroverse um Platon und die Kunst der Rede nach 1453: zur Grundlegung des Programms künstlerischer Erneuerung der römischen Basilika „SS. XII Apostoli“
(IFAVL, Band 184)
ISBN 978-3-89693-644-8 (07/2015)
281 Seiten, 16 Abb., 22 x 15 cm, Kt., EUR 46,00 Die Neubegründung der Rhetorik in der frühen Neuzeit vollzieht sich in der Verbindung mit der Diskussion über die Rolle Platons, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Rom durch Bessarions Streitschrift „In calumniatorem Platonis“ angestoßen wird. Gegen den immanentistisch-lebenspraktisch ausgerichteten Aristotelismus, wie ihn G. Trapezuntius als Antipode vertritt, wird hier im Rückgriff auf die hellenistisch-oströmische Tradition ein Konzept von Sprache und Sprechen vorgetragen, das sich – an Platon orientiert – als mehrdimensional, als transzendierend-dynamisch, begreift.
Die in Byzanz lebendig gebliebene neuplatonisch ausgerichtete Tradition des Sublimen, die bei Bessarion einhergeht mit dem apophatischen Denken des Dionysios Areopagita, überformt das Bild des als Modell empfohlenen antiken Philosophen. In dieser frühen Phase wird der Name Longins nicht explizit genannt.
Die so entworfene Grundlage erscheint durch Bessarion selbst auch umgesetzt in die bildende Kunst. Die vor wenigen Jahrzehnten in der Basilika „SS. XII Apostoli“ wiederentdeckte Kapelle S. Eugenia, die der griechische Kardinal zu seiner Grablege ausgestalten ließ, propagiert gegen die Gefahr von außen, die Bedrohung durch die Osmanen, das Konzept einer erneuerten, nicht zuletzt auf Byzanz aufbauenden christlichen Weltordnung. Es wird unter Sixtus IV. und Julius II., als sich über Melozzo da Forlì hin zu Raffael und Michelangelo die Kunst der römischen Hochrenaissance entfaltet, zu einem zentralen Programmpunkt.
Der ergänzende Blick auf die Wirkungsgeschichte von Bessarions Kampfschrift „De gravissimis periculis“ zeigt bis hin zu dem mehr als ein Jahrhundert später entstandenen Pendant von Franciscus Portus, dem nur in einer Handschrift erhaltenen „Sermo ad quendam pontificem“, die Kontinuität der Auseinandersetzung mit dem Gegner aus dem Osten.
Inhalt Einleitung: Bessarion als Rhetoriker
A. „In calumniatorem Platonis“ (ICP) I. Tendenzen des Hellenismus im Quattrocento: das Renouveau Platons
1. Zum Konflikt innerhalb des „umanesimo greco“
– Hellenismus – der Begriff im 15. Jahrhundert
– Die Tendenz zur Synkrisis von Ost und West
2. Bessarion vs. Trapezuntius: der Kampf um Platon
– Zur Entgegensetzung von Platon und Aristoteles
– Die Krise des Humanismus unter Paul II.
II. Zentrale Aspekte von „eloquentia“ in ICP
1. Bessarions neuplatonisches Vorverständnis von Rhetorik
– Analyse und Verteidigung von Platons Sprachkunst
2. Der Rahmen der Bewertung Platons als Rhetor
– Eine frühe Festlegung der Begrifflichkeit für das Sublime: Perottis Präsentation von ICP
– Bessarions Verbindung zum byzantinischen Bildungswesen: die Hochschule des Apostoleion
– Die Präsenz Longins bei Dionysius Areopagita
3. Longin als Modell Platons
– Die verborgene Präsenz von „Peri hypsous“
– Parallelen zu Bessarions Rückgriff auf Longin: Michael Apostolios
4. Positionen der Platon-Exegese in ICP
– Die Tendenz zum Esoterischen
– Exklusivität: „odi profanum vulgus“
– Exzentrik als Grenzüberschreitung: zwischen Rhetorik und Metaphysik
5. Das Erhabene in Aktion: das Moment des Arkanen und der „Fall Longin“
– Kommunikationsformen von Esoterik als Schutzmaßnahme
– Platons Schaffen als Inbegriff des „Sublimen“
6. Der Rahmen der Longin-Renaissance – Zielbestimmung und Konsequenzen des „neuen“ Sprechens
III. Von einer „rhétorique adulte“ zur „rhétorique d’école“ – die Weiterentwicklung hin zum Cinquecento
1. Formelemente des Erhabenen und ihre Verortung in Rhetorik und Metaphysik
2. Spuren des Neuplatonismus in der Textüberlieferung
– Die exemplarische Bedeutung der „numeri“
– Das Erhabene als Lehrstoff
3. Frühe Aneignungen des Erhabenen außerhalb Italiens
IV. Christlicher Neuplatonismus im römischen Kontext
1. „Caelum undique et undique pontus“ (Aen. III, 193) – Bessarion als Palinurus, der Steuermann
2. Zur Diskussion von „amor Dei“ in ICP
– Die Offenheit des „simulacrum amoris“ als Rechtfertigung des Bezugs der Welt zu Gott
– Das Sublime als Grundlage des Ausdrucks transgressiver Formen des „amor dei“
B. Kulturpolitik und Kunstpatronat in Rom um 1470
I. Kuriale Zusammengehörigkeit: Bessarion und Francesco della Rovere (Sixtus IV.)
1. Der Dialog „De arcanis Dei“ als Zeugnis von Affinitäten
2. Sixtus IV. und seine Nepoten: Riario und Della Rovere
II. „De propaganda fide“
1. Der griechische Kardinal Bessarion – eine kultur- und kirchengeschichtliche „Leerstelle“?
2. Bessarion und die bildende Kunst: die Maler Antoniazzo Romano, „pictor urbis“, und Melozzo da Forlì, „pictor papalis“
C. Die vergessene Bildrhetorik in der Basilika „SS. XII Apostoli“
I. Die Basilika „SS. XII Apostoli“ – Fragmente eines kirchenpolitischen Testaments
1. Die Titularkirche des griechischen Kardinals – der Ort als Zeichen
2. S. Eugenia, die Grabkapelle Bessarions
– Die späte Wiederentdeckung der Kapelle
– Byzantinische Formen und Themen
3. Der Auftrag und die beteiligten Künstler - zur Verbindung der beiden Maler von SS. Apostoli
4. Zur Rekonstruktion der Fresken in der Kapelle
– Schema und Abfolge der Bilder
– Die Entscheidung Bessarions für Antoniazzo Romano
5. Der Bildzusammenhang im Einzelnen: Johannes Baptista, St. Michael, die Engelchöre
6. Das rhetorische Programm der Grabkapelle und die Formen des Erhabenen bei Dionysius Areopagita
II. Melozzo da Forlì und die Tribuna in der Basilika
1. Die Umgestaltung der Hauptkirche um die Mitte des Quattrocento
2. Die Fragmente der Gemälde Melozzos
– Zu einer Rekonstruktion der Tribuna
– Christus – Moses – Sixtus IV.
3. SS. XII Apostoli – „monumentum mortis et resurrectionis“
– Zur Einordnung von Melozzos Tribuna
Ausblick
Der griechische Kardinal und die Basilika „SS. XII Apostoli“ – ein Schlüssel zur Geschichte der Ausgestaltung von Sixtina und Neu-St. Peter
Strukturanalogien der Grabkapelle Bessarions und der Sixtina
Michelangelo als Künstler Julius’ II.
Das Projekt des Julius-Grabmals in Neu St. Peter
Komplementäre Typologien: Platon – Moses – Longin
Anhang „In Turcos“ – die Gefahr aus dem Osten als Folie des Erhabenen bei Bessarion und Franciscus Portus
I. Zur Wirkungsgeschichte von Bessarions „Orationes de gravissimis periculis“/ „Lettere et orationi“ (1471-1600)
– Ausgaben von Bessarions „Orationes“
– Zu den verschiedenen Editionen
II. Bessarion und die Reformation
– Luther und die protestantische Linie der Türkentexte
– „De gravissimis periculis“ in der Zeit nach der Seeschlacht von Lepanto – F. Pigafetta und Gregor XIII.
III. Franciscus Portus und der „sermo ad quendam pontificem“ – eine Annäherung
1. Zuschreibungen und Schwierigkeiten der Zuordnung
– Portusʼ Karriere: von Kreta nach Genf
– Teilidentitäten in der Gestaltung des „Sermo“
2. Zur Intentionalität des „sermo“ im historischen Kontext
– Der Blick auf Kreta
– Die Form des Schreibens – Prophetie und Politik
– Zur Problematik des Schreibers – Türkenkrieg und kirchliche Erneuerung
Texte
–– Bessarions „Orationes“ deutsch, übersetzt von Nicolaus Höniger (1573/78)
–– Franciscus Portus’ „Sermo ad quendam pontificem“ (Bibl. Laur. Cod. Plut. 28,41). Transkription des griechischen Originals und Übersetzung ins Italienische: Antonella Ippolito
Literaturverzeichnis
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