Huber, Marc Oliver: Zwischen Schlußstrich und „Schönem Gespräch“. Erinnerung bei Thomas Mann (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Band 166) ISBN 978-3-89693-493-2 (05/2007)
275 Seiten, 22 x 15
cm, Kt., EUR 39,00
Wie reagiert ein ausgesprochen traditionsbewußter
Autor, wenn der Sturm der Geschichte in die Wiederholungskreisläufe seiner Gedächtniswelt eingreift? Thomas Mann gerät dadurch in eine Zwickmühle: Einerseits kann er das „Schöne Gespräch“ mit den
großen Vorbildern nicht mehr fortsetzen, andererseits möchte er den Traditionsbezug nicht, wie seine künstlerischen Rivalen, aufkündigen. In textnahen Interpretationen gelingt es dem Literaturwissenschaftler Marc
Oliver Huber, kompetent die widersprüchlichen Positionen aufzuzeigen, die Thomas Mann und sein Erzählpersonal im Zwischenraum von Gedächtnis und Geschichte einnehmen. Mit stichhaltigen Argumenten stellt Huber die
öffentlichkeitswirksame Selbstinszenierung des Nobelpreisträgers als ironischen Vermittler von Gegensätzen in Frage. Dessen Texte sprechen vielmehr eine Sprache des Ausschlusses: In geschlechtlicher Hinsicht
assoziiert Mann die Störungen der erinnerungskulturellen Ordnung bevorzugt mit Merkmalen des Weiblichen, in ethnischer Hinsicht mit Negativstereotypen des Jüdischen.
Inhalt 1. Metaphorisch vom Winde verweht – Erinnerung im Zeichen von Reinigungs- und Destruktionsphantasien 1.1 Der Sturm als Metapher für Geschichte 1.2 Das
apokalyptische Narrativ: Gedächtnis vs. Geschichte 1.3 Kulturrevolutionäre und kulturprotestantische Traditionskritik 1.4 Kulturprotestanten im Sturm: Thomas Mann und seine Figuren 2. Zwischen Gedächtnis
und Geschichte – Themenstellung, Grundlagen und Zielsetzung des Buches 2.1 Themenstellung: Zwischen Schlußstrich und ‚Schönem Gespräch‘ 2.2 Im Zwischenraum: Unreinheit, Figuren des Dritten,
Familientriaden 2.3 Zwischen Gedächtnis und Geschichte: Standpunkte der Gedächtnisforschung 2.4 Zielsetzung, Vorgehen und Textauswahl 3. Nachfolgegebot des Vaters, Ausstiegsangebot der Mutter – das
Familiengedächtnis in Buddenbrooks 3.1 Das kernfamiliale Dreieck Vater–Mutter–Kind und der externe Rivale 3.2 Identitätsbildung von Familienmännern: „[E]s ist so schön, daß wir ihn wieder
Johann genannt haben“ 3.3 Der männliche Erinnerungsrahmen: „Urgroßvater, Großvater, Vater und ich“ 3.4 Roman über kulturelle Orientierungen: „Was – ist das ...“ 3.5 Die
Verfallsgeschichte des Gedächtnisses: Thomas im Zwischenraum 3.6 Überhöhung und Umschrift: Familienbilder in den Köpfen 3.7 Das Scheitern des paternalen Narrativs: „Bist du denn ein kleines
Mädchen?“ 3.8 Im Reich der Mutter: Hanno läßt seine Hand „mit Mamas Federhalter spielen“ 3.9 Das ewige Kind: „Bitte, gieb mir den Schlüssel zum Sekretär“
4. Zwischen Vorbildern und Rivalen – Intertextualität im Frühwerk (Gladius Dei, Tristan) 4.1 Vorbild, Autor und Rivale in der literarischen Kommunikation 4.2 „Kann man schreiben, ohne gelesen
zu haben?“ Weiterschreiben, Anverwandeln und Dagegenschreiben 4.3 Gladius Dei: „Nicht umsonst ist Savonarola mein Held ...“ 4.3.1 Epigonentum: Renaissance-Modestadt München, Modezar
Heinrich 4.3.2 Korruption des Gedächtnisses: Das Madonnenbild 4.3.3 Figur des Dritten, schriftstellerische Rivalin: Die Madonna und ihr Jüngstes Gericht 4.3.4 Hieronymus: Kontrapräsentische Erinnerung,
kontrafaktisches Erzählen 4.4 Tristan: Im „steten Kontakt mit bewunderten Vorbildern“ 5. In der Zeitenwende – Thomas Manns Essayistik zum Ersten Weltkrieg 5.1 Zeit und Erinnerung
in der deutschen Kriegspublizistik 5.1.1 Der Krieg als Motor der Moderne? 5.1.2 „Welterschütternde Ereignisse“: Die Konstruktion der Zeitenwende 5.2 Zurück zum Ursprung: Die kleine Zeitenwende in Friedrich
und die große Koalition 5.2.1 Kriegstauglichkeit: „Ein Abriß für den Tag und die Stunde“ 5.2.2 Wiederholungsdenken vs. Zeitenwende-Bewußtsein 5.2.3 Die große Persönlichkeit als
Antitraditionalist 5.3 Die Zeitenwende als Katastrophe: Betrachtungen eines Unpolitischen 5.3.1 Ausgangspunkt „Protestantentum“: Die kleine Zeitenwende 5.3.2 Große Zeitenwende: Bilanzierung der
Verluste im Bruderkampf 5.3.3 In weiter Ferne so nah: „Rückblick-Ergriffenheit“ 5.3.4 Heimwehlieder im neuen Deutschland 5.3.5 „Selbstwiderspruch“: Zwischen Altem und Neuem
6. Trauer im Zwischenraum: Der Zauberberg als „Buch des Abschiedes“ 6.1 Verlust, Abschied, Trauer: „Nie – niemals wieder“ 6.2 Normale und pathologische Trauer aus
psychoanalytischer Sicht 6.3 Das Themengewebe der Trauer in Der Zauberberg 6.3.1 „System der Verheimlichung“: Der Tod als soziales Tabu 6.3.2 Hans Castorps Leben: Von Toten und anderen
Verlusten 6.3.3 Trauerabwehr: Spiritismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit 6.3.4 ‚Fragwürdigstes‘ im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit: Die Séance als Brückenritual 6.3.5 Der Lindenbaum:
In der Nostalgiefalle 6.3.6 Schnee: Das Trauma als Ordnungsstifter? 7. Schluß: Thomas Mann – Autorschaft im Zeichen des Verlustes Literaturverzeichnis Abkürzungen
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