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Treptow, Elmar: Die widersprüchliche Gerechtigkeit im Kapitalismus. Eine philosophisch-ökonomische Kritik
ISBN 978-3-89693-559-5 (02/2012)

315 Seiten, 22 x 15 cm, 2 Abb., Kt., EUR 44,00

 
In diesem Buch wird erstmals zusammenhängend dargestellt und kritisiert, dass die Gerechtigkeit, die in der kapitalistischen Gesellschaft herrscht, in den sowohl gleichen als auch ungleichen Beziehungen zwischen den Warenbesitzern besteht. Diese widersprüchliche Gerechtigkeit beruht darauf, dass die Waren auf dem Markt am gleichen Maßstab der durchschnittlichen Arbeitszeit getauscht bzw. gekauft und verkauft werden, aber mit ungleicher Produktivität erzeugt worden sind, so dass der ungleiche Reichtum die zwangsläufige Folge ist. Charakteristisch für die kapitalistische Gesellschaft sind die Gleichheitsbeziehungen auf dem Arbeitsmarkt, nämlich der Tausch der speziellen Waren – der Arbeitskräfte – gegen Lohn, die hierdurch in den Produktionsbereich gelangen, wo sie mit ihrer Arbeit das Wachstum des materiellen Reichtums ermöglichen; aber an ihm haben die Lohnabhängigen und die Kapitalisten einen ungleichen Anteil, denn die Kapitalisten verfügen über die Produktionsmittel. – Diese Ungleichheiten sind in der kapitalistischen Gesellschaft keine Ungerechtigkeiten. Gerecht ist in dieser Gesellschaft, was übereinstimmt mit den Erfordernissen und Gesetzmäßigkeiten des durch die Tausch- und die Vertragsgerechtigkeit vermittelten Kapitalwachstums. Gerecht sind demgemäß auch die das Wachstum begleitende Konzentration des Kapitals, ebenso die unvermeidbaren Krisen und ihre Folgen wie Arbeitslosigkeit, Inflation oder Bankrotte. Und wenn die Staaten in der gegenwärtigen Krise die großen Unternehmen und Banken wegen ihrer Systemrelevanz unterstützen und die kleinen dem Bankrott überlassen, verstärken sie den Konzentrationsprozess und somit die gesellschaftlichen Ungleichheiten – das alles ist in der kapitalistischen Gesellschaft nicht ungerecht und verweist somit auf eine andere Art der gesellschaftlichen Gerechtigkeit.
Diese Zusammenhänge werden in Teil I des Buches systematisch dargestellt. Der folgende theoriegeschichtliche Teil II beinhaltet eine Auseinandersetzung mit Adam Smith, Hegel, Nietzsche und Marx; sie entwickelten die wichtigsten Theorien über die kapitalistische Gesellschaft und deren Gerechtigkeit. Teil III enthält eine Kritik aktueller exemplarischer Ideologien der Gerechtigkeit. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die historisch bedingten besonderen kapitalistischen Verhältnisse verallgemeinern und als unveränderbar ausgeben, so dass deren Ungleichheiten befestigt werden.
 
Der Autor lebt in München und ist Professor der Philosophie (i. R.) an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Inhalt
 
Einleitung
I. Systematischer Teil
Gerecht ist in der kapitalistischen Gesellschaft, was mit ihren ökonomischen, politischen, rechtlichen und moralischen Gesetzen übereinstimmt. Grundlegend ist das ökonomische Gesetz des Tausches gleicher Warenwerte auf dem Markt. Aus diesem Gesetz folgen zwangsläufig Ungleichheiten, ebenso aus den außerökonomischen Kämpfen zwischen den Eigentümern der Arbeitskraft und des Kapitals um ihre gleichberechtigten, aber widersprüchlichen Interessen

1.
Die strukturellen Beziehungen, die zwischen den Eigentümern von Waren herrschen, sind sowohl gleich als auch ungleich. Das gilt speziell für die strukturellen Beziehungen zwischen den Eigentümern der Waren Arbeitskraft und Kapital. Der Tausch von Arbeitskräften gegen Lohn auf dem Arbeitsmarkt ist die Voraussetzung der Produktion des Kapitals. Auf dem Arbeitsmarkt herrschen Gleichheit, Freiheit und Privateigentum
2. Aus den gesetzmäßigen Prozessen der Wert- und Preisbildung der Arbeitskräfte und aus den unvermeidbaren außerökonomischen Kämpfen um die Höhe der Arbeitslöhne folgt die strukturell bedingte Ungleichheit der Arbeitslöhne. Sie ist ein integrativer Bestandteil der Gerechtigkeit unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft
3. Die Lohnarbeiter, die vermittels des Arbeitsmarkts in den Produktionsbereich gelangen, erzeugen dort mehr Warenwerte als zu der Erhaltung ihrer Arbeitskraft erforderlich sind. Diesen Mehrwert eignen sich die Kapitalisten als Eigentümer der Produktionsmittel an. Hieraus resultiert die strukturell bedingte qualitative Ungleichheit von Reichtum und Armut
4. Die mit ungleicher Produktivität erzeugten Waren werden auf dem Markt am Maßstab der gleichen durchschnittlichen Arbeitszeit getauscht. Die sachzwanghafte Konsequenz ist die Ungleichheit des Reichtums sowohl zwischen den kapitalistischen Unternehmen als auch zwischen den kapitalistischen Ländern
5. Die ökonomischen Krisen haben ihre Ursache in dem Widerspruch zwischen der Ausdehnung der Produktion im Profitinteresse und der zahlungsfähigen Nachfrage. Diese Krisen und ihre Folgen wie die Arbeitslosigkeit und die Konkurse sind systembedingte unvermeidbare Bestandteile der im Kapitalismus herrschenden Gerechtigkeit
6. In der kapitalistischen Gesellschaft ist es keine Ungerechtigkeit, dass die Natur resp. die Erde das Privateigentum einiger Menschen ist und durch Raubbau und Vergiftung geschädigt wird, und dass die Kosten der Umweltschäden nicht in die Bilanzen der kapitalistischen Unternehmen eingehen. – Die produktiveren reicheren Länder können gegen die Rohstofknappheiten und Klimaänderungen ungleich profitablere Maßnahmen ergreifen als die unproduktiveren ärmeren Länder
II. Theoriegeschichtlicher Teil
1.
Adam Smiths politökonomische Konzeption der Gerechtigkeit als Übereinstimmung mit den ökonomischen Gesetzen des kapitalistischen Warenmarkts und den ihnen entsprechenden politischen und ethischen Normen
1.1 Smiths grundlegende Annahmen: die Arbeitsteilung steigert die Arbeitsproduktivität; die auf dem Markt getauschten Warenwerte werden durch die Arbeit erzeugt; der Kapitalprofit ist der Abzug vom Arbeitsertrag; die Arbeitslosigkeit wird zyklisch ausgeglichen
1.2 Das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das auf dem Markt herrscht, bewirkt nach Smith ein Gleichgewicht in der gesamten Volkswirtschaft, indem es die Schwankungen aller Warenpreise sowie der Löhne, Profite und Bodenrenten ausgleicht. – Eine Organisationsfreiheit für die Arbeiter schließt Smith aus
1.3 Nach Smith werden die Marktteilnehmer von der unsichtbaren Hand eines höchsten Wesens geleitet, so dass die niedrigsten Preise und der allgemeine Wohlstand das Resultat sind. In welchem Ausmaß durch das Produktivitätsgefälle und die Marktkonkurrenz die Konzentration des Kapitals und das Wohlstandsgefälle entstehen, kann Smith, historisch bedingt, nicht erkennen
1.4 Smith grenzt die unproduktive Arbeit von der produktiven Arbeit ab, auf der die Akkumulation des Kapitals beruht. Unproduktiv sind demnach insbesondere Klavierspieler, Schriftsteller, Schauspieler, Priester, Prostituierte, Juristen, Beamte und Militärs
1.5 Der Staat soll nach Smith die Einhaltung der ökonomischen Gesetze erzwingen, langfristige ökonomische Aufgaben selbst übernehmen, für Infrastrukturmaßnahmen sorgen und das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft gewährleisten. Die Kolonialpolitik und den staatlich geförderten Kolonialhandel befürwortet Smith. Eine Beschränkung der Kinderarbeit befürwortet er nicht. Ein umverteilender Sozialstaat ist nicht in seinem Horizont
1.6 Moralisch sind für Smith die Gefühle, die mit den ökonomischen, rechtlichen und politischen Erfordernissen des Warentauschs übereinstimmen
1.7 Smith findet nichts daran zu kritisieren, dass die Gleichheitsbeziehungen, die auf dem Arbeitsmarkt herrschen, die Bedingungen der Produktion des Kapitals und seiner Ungleichheiten sind
2. Hegels dialektische Theorie der Gerechtigkeit als die Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit in der Weltgeschichte
2.1 Die Gerechtigkeit als die Übereinstimmung der Freiheit und Gleichheit des Geistes mit den im Geschichtsprozess sich bildenden Staaten. – Hegels Weg von China nach Preußen
2.2 Der Ursprung der Staaten resp. der „Macht des Gerechten“ im gewaltsamen  Kampf um Anerkennung, aus dem unmittelbar das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft hervorgeht
2.3 Hegel hebt die politische Ökonomie von Adam Smith auf
2.4 Hegel nimmt den gesellschaftlich-geschichtlichen Inhalt in die Ethik und in das Recht auf
2.5 Hegel ordnet die selbstsüchtigen Privatinteressen dem Verstandesstaat und den Ständen unter, damit der Lebensunterhalt und die Wohlfahrt der Bürger gesichert werden
2.6 Hegel erblickt die höchste Stufe der Gerechtigkeit und Freiheit im preußischen Vernunftstaat
2.7 Hegel blockiert mit seinem System den geschichtlichen Prozess der Gerechtigkeit und scheitert an der Geschichte. – Oder: Wie Hegel die kapitalistische Marktgerechtigkeit zwecks Zügelung und Züchtigung dem preußischen Staat übergibt, dieser aber von der kapitalistischen Entwicklung bezwungen wurde
2.8 Hegels Theorie der Gerechtigkeit weist mit ihrem dialektischen Konzept der Übereinstimmung der subjektiven Bedürfnisse und der objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse über sich hinaus
3. Nietzsches genealogische Theorie der Gerechtigkeit als Funktion eines kosmischen Willens zur Macht
3.1 Nietzsches Ableitung der Gerechtigkeit aus einem egoistischen Selbsterhaltungstrieb von gleich Mächtigen
3.2 Die „aktive Gerechtigkeit“ der Starken und die „reaktive Gerechtigkeit“ der Schwachen – eine ideologische Unterscheidung. Nietzsches Diskreditierung der wahren und gerechten Urteile als lebensdienliche Illusionen und Fiktionen
3.3 Die gerechte Politik der Starken im Gegensatz zur gerechten Politik der Schwachen. „Große Politik“ gegen die Politik des „Sozialisten-Gesindels“
3.4 Der Kampf um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als „Symptom von Krankheit“
3.5 Ein graphisches Schema zu Nietzsches Ableitung der Gerechtigkeit aus dem „Willen zur Macht“
4. Marx’ kritische Darstellung der in der kapitalistischen Gesellschaft herrschenden Gerechtigkeit als Übereinstimmung mit den Gesetzen des Kapitalwachstums
4.1 Im Kapitalismus haben die Verhältnisse der Gleichheit das direkte Gegenteil (die Antithese) zur notwendigen Konsequenz. Dieser Widerspruch lässt sich innerhalb des Kapitalismus nicht negieren, aber entsprechend dem Kräfteverhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern modifizieren
4.2 Das grundlegende Wertgesetz regelt den Tausch gleicher Werte und hat die Ungleichheit der Warenproduzenten zum Resultat
4.3 Die Menschenrechte Freiheit, Gleichheit und Privateigentum sind die Bedingungen des Kaufs und Verkaufs der Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt und somit die Bedingungen der Produktion des Kapitals. Die Eigentümer der Produktionsmittel eignen sich die unbezahlte Mehrarbeit an
4.4 Die Lohnarbeiter produzieren in der unbezahlten Mehrarbeitszeit den Mehrwert, dessen Rückverwandlung in Kapital die Grundlage der Akkumulation des Kapitals ist. Die unbezahlte Mehrarbeit wird dadurch verschleiert, dass der Arbeitslohn die Bezahlung der gesamten Arbeit zu sein scheint. Die Forderung nach Gleichheit der Löhne ist ein törichter unerfüllbarer Wunsch
4.5 Die Akkumulation des Kapitals und des Reichtums bewirken gesetzmäßig die Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Lage der Lohnarbeiter. Der Reichtum der Kapitalisten und die Armut der Lohnarbeiter bedingen sich wechselseitig. Armut und Reichtum sind im Wesentlichen qualitative Bestimmungen
4.6 Die Beschleunigung der Umschlagszeit des Kapitals erhöht den Ausbeutungsgrad der Lohnarbeiter. Diese sind außerdem den krisenhaften Bedingungen der erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals unterworfen
4.7 Die Lohnarbeiter sind von der Verschlechterung der Verwertungsbedingungen der konkurrierenden Kapitale betroffen, die sich in dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate ausdrückt
4.8 Die Natur fungiert im Kapitalismus als Mittel der Produktivitätssteigerung und der größtmöglichen Vermehrung des investierten Kapitals. Die Erde gehört allen Menschen, wird aber in der kapitalistischen Gesellschaft zum Privateigentum einiger Menschen. Aus diesem Widerspruch resultieren bestimmte Arten des Raubbaus und der Vergiftung der Natur
4.9 Die materialistische und dialektische Kritik der kapitalistischen Gerechtigkeit hat keine ideelle ungeschichtliche Norm zum Maßstab, sondern ist Ausdruck praktischer Bedürfnisse und Interessen. Die ungleichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Individuen sind der Maßstab der proportionalen Gleichheit in einer kommunistischen Gesellschaft
III. Ideologiekritischer Teil
Kritik aktueller ideologischer Rechtfertigungen der strukturellen systembedingten Ungleichheiten in der kapitalistischen Gesellschaft

1.
Der Hauptgedanke von Marx’ Ideologiekritik: Das ideologische Bewusstsein ist von der gesellschaftlichen Praxis abhängig, wähnt sich aber unabhängig, also selbständig. Wer im ideologischen Bewusstsein befangen ist, verallgemeinert die besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse, wodurch er sie als unveränderbar ausgibt und stabilisiert
2. Ein kurzer Überblick über die Versionen von Ideologie und Ideologiekritik, die derzeit vorherrschen
3. Die Rechtfertigung der strukturellen systembedingten Ungleichheiten der kapitalistischen Gesellschaft mit Hilfe der Konstruktion eines „Urzustands“: Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit
4. Die Ablenkung von den strukturellen systembedingten Ungleichheiten durch die Entkoppelung der Gerechtigkeit von der Gleichheit: die „Non-Egalitaristen“. – Exkurs zu Nussbaums sozialdemokratischem Aristotelismus. – Hayeks und Poppers Rechtfertigungen des Kapitalismus mit Hilfe ihrer Falsifikationsmethode
5. Die Befestigung der systembedingten Ungleichheiten mit Hilfe der Gleichsetzung von Organismus und Gesellschaft sowie von Arbeitsteilung und Klassenteilung. – Die ideologieverdächtige Metapher des Bootes, in dem wir alle sitzen
6. Die Verschleierung der systembedingten Ungleichheiten durch das Gleichsetzen der verallgemeinerten Eigeninteressen mit dem Gemeinwohl. – Zu den ideologischen Harmonisierungen in der katholischen Soziallehre und zur Irrationalität der „Gerechtigkeit Gottes“. – Habermas’ neue Sicht auf die Religion
7. Die Ideologisierung der Verantwortung und der Sachzwänge in der kapitalistischen Gesellschaft
Personenregister