Krüger, Reinhard: Zwischen Wunder und Wahrscheinlichkeit. Die Krise des
französischen Versepos im 17. Jahrhundert ISBN 3-89693-218-7 (2. Aufl. 11/2002)
376 Seiten, 17 Abb., Ebr., EUR 44,00
Die französische Literaturtheorie des 17. Jahrhunderts wird von einer Idee bestimmt: Die
französische Literatur würde erst dann zu einer wirklichen Größe aufsteigen, wenn es einem Dichter gelänge, ein nationales Heldengedicht zu verfassen, das imstande wäre, die Epen Homers und Vergils zu übertreffen.
Nahezu einhundert Autoren des 17. Jahrhunderts haben versucht, durch die Verfassung eines Epos der ‚französische Vergil’ zu werden, doch keines dieser Werke hat seine Zeit als lesenswert überdauert. In der
vorliegenden Untersuchung wird der Widerspruch zwischen hohem theoretischen Anspruch des Epos und mittelmäßiger bis drittklassiger Realisierung dieser Form aus einer literatursoziologischen, kulturhistorischen und
philosophischen Perspektive geklärt. Reinhard Krüger lehrte an den Universitäten Osnabrück, München, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin. Er ist Professor für Romanische
Literaturen an der Universität Stuttgart.
Inhalt
Einleitung I. Das historische Profil des französischen Versepos im 17. Jahrhundert
1. Voltaire und die Versepik des 17. Jahrhunderts 2. Von Voltaires Kritik in die Vergessenheit 3. Zum Widerspruch von Literaturgeschichte und poetischer Praxis im 17. Jahrhundert 4. Quantitative
Aspekte der Epenproduktion im 17. Jahrhundert 5. Das Epos als kriegerisches Gedicht 6. Ein Epos unepischer Wirklichkeit? 7. Das Epos als aristokratische Gesellschaftsvision und seine Kritiker II. Der Heroismus als ‚ästhetische Produktivkraft’ 1. Zur Soziogenese des ritterlichen Heroismus 2.
Abkömmlichkeit, Unabkömmlichkeit und die Verfügung über Raum und Zeit 3. Die Herausbildung des Absolutismus und die Krise des ritterlichen Heroismus 4. Die ästhetische Kodierung des außergewöhnlichen
Menschen 5. Das epische Heldentum als politischer Anachronismus: Guez de Balzacs Prince und Scudérys Alaric 6. „Nous ne sommes plus au temps des héros.“ – Die libertinische Kritik am
kriegerischen Heroismus III. Epos und Drama in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts 1. Das quantitative Verhältnis von Epos und Drama 2. Veränderungen in der Perzeptionsweise: 3. Die Einheit des
Ortes in der Dramatik und die Verdrängung des Kriegerisch-Heroischen 4. Die Antinomien des Dramas und das Eindringen des epischen Paradigmas in die Dramatik Corneilles a) Ubiquität und Simultaneität des
kriegerischen Helden b) Die Zerstörung der Raumeinheit: Von der Illusion comique zum Cid IV. Strukturveränderungen im Gattungssystem 1. Vorbemerkungen 2. Jean de la Taille und die
Ausgrenzung des furor heroicus 3. Pierre de Laudun und das epische Material der Tragödie 4. Vauguelin de la Fresnaye und die Zerstörung der Gattungssystematik 5. Jules de la Mesnadière und die
‚vergessene’ Poetik des Epos 6. Boileaus Theorie des wirkungslosen Epos V. Die Theorie des Wunderbaren im Epos 1. Die Pléïade und das pagane Wunderbare 2. Torquato Tasso und das christliche
Wunderbare 3. Ein Vergilstreit um 1625: Vergil als Zauberer 4. Christliche Epik und ultramontane Propaganda: Corbins Saincte Franciade 5. Chapelain: Historizität des Wunderbaren und
Traditionsdruck VI. Brébeuf, Saint-Amant und Le Moyne auf der Suche nach dem neuen merveilleux 1. Die Mythologie als Berufssprache der Dichter 2. Saint-Amant und die Synästhesien am Ende der
Himmelsleiter 3. Die Wunder des Ostens und die Glühwürmchen 4. Pierre Le Moyne und das wunderbare Ägypten 5. Le Moynes ‚Ästhetik der Unordnung’ oder Zweifel über ‚Barock’ und
‚Klassik’ 6. Brébeuf und der wunderbare Marsch durch die Wüste VII. Die philosophische Auflösung des Wunderbegriffs 1. Der Intertext des merveilleux 2. Die Dämonen Ronsards 3.
Gassendi: Das Wunder gehört nicht in den Zeichenvorrat Gottes 4. Sensualistische Elemente bei Descartes 5. Malebranche: Die Wunder und die Ökonomie des Gottes der Rationalisten
VIII. Zur Vorgeschichte des irdisch-akzidentellen Wunderbaren der Texte 1. Das φαυμαστόν bei Aristoteles 2. Das Wunderbare zwischen surnaturel und extraordinaire 3. Das weltliche Wunderbare bei Chapelain 4. Novità und ammirazione oder der Text als Maske der neuen Konzepte 5. Théophile de Viau und die Produktion der paradoxen Bilder 6. Cartesianische Aspekte des Manierismus
IX. Exkurse zur wunderbaren Überraschung der Rezipienten 1. Das nicht-maschinelle merveilleux bei Saint-Evremont 2. Ordo naturalis gegen ordo artificialis: die Genese der surprise 3.
Carel de Sainte-Garde: Unchronologische Darstellungen und die Entdeckerfreude des Lesers 4. Furetière, die Überraschung im Roman und die verhinderten Heiraten 5. Mme de Lafayette, Mme de Sévigné und die
verhinderten Heiraten 6. Moliéres Monsieur de Pourceaugnac und die verhinderten Heiraten X. Die katholische Gegenreformation und die neuen Bedingungen des champ littéraire 1. Die
theologische Kritik am irdischen Wunderbaren 2. Religiöser Paradigmenwechsel in der Politiktheorie und politische Opposition unter Mazarin XI, Georges de Scudéry: Der schreibende Ritter und die Funktion des merveilleux chrétien
1. Auf der Suche nach dem neuen Mäzen 2. Die Abkehr von der Welt und die Entdeckung der Wunder Gottes 3. Die Unabkömmlichkeit des Adels und die Imagination der Bewegungsmaschine 4. Absolutistische
Ritterwelten und die Pluralität der Helden XII. Desmarets de Saint-Sorlin: Das Wunderbare und der implizite Diskurs über das Wunderbare 2. Die politische prise de position von Desmarets 3. Religiöser Paradigmenwechsel bei Desmarets 4. Clovis, der zerschmetterte Merkur und das christliche Wunderbare
XIII. Boileaus Kritik am Epos 1. Amtsadel, Dialogizität und die politische Operationalität der Satire 2. Adelskritik und Ablehnung der Panegyrik 3. Avarice oder ambition, Handel oder
Krieg? 4. Die Vertreibung des Helden aus dem symbolischen System der Formen: Die zerstörte Königsikone und die Zerstörung des Epos 5. Die antike Machina als menschenähnliche Machina 6. Die Trennung von
Religion und Poesie und die irdische Freiheit des Menschen XIV. Der Beitrag der Eposdebatte zur Querelle des Anciens et des Modernes 1. Historizität und Kunstautonomie bei den Anciens 2.
Michel de Marolles: Historizität der machines und Eposdemontage 3. Segrais: Die antiken machines, das akzidentelle merveilleux und die Gefahr des Komischen 4. René Rapin: Die Religion sichert nicht die ästhetische Qualität
5. René Le Bossu: Die Allegorese der antiken Mythologie und die admiration 6. Réécriture oder imitation alter Texte? – Aspekte der Modernität im 17. Jahrhundert 7. Christlich begründete ‚Modernität’ bei Tasso 8. Die eigene Zeit und die fremde Zeit des Mittelalters 9. Die Beseitigung des Faustrechts als Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit
XV. Das Epos als anachronistische Form: Die Architekturekphrasis 1. Vorbemerkungen 2. Die Architekturekphrasis: Aboslutistische und feudale Raumstrukturen 3. Der gotische Palast in Birch 4. Das
absolutistische Zauberschloß auf der isle enchantée 5. Erzählter und nicht-erzählter Raum 6. Boileaus Kritik an den Schloßbeschreibungen als politische Kritik 7. Die isle enchantée als ästhetischer Effekt der Wirklichkeit
XVI. Das Epos als anachronistische Form: Die Homerische Kampfesweise 1. Der Krieg als heroisches Sujet 2. Veränderungen im Kriegswesen 3. Die Reaktion der Epiker auf die militärischen
Veränderungen XVII. Das Epos als anachronistische Form: Archaische Formelemente 1. Die Tradition archaischer Formelemente 2. Das Epitheton 3. Lange Bücher und lange Verse: das Problem des ennui der Eposlektüre
XVIII. Das mythologische Bildprogramm und das wissenschaftliche Denken 1. Mythologisches und naturwissenschaftliches Denken 2. Die Unausweichlichkeit des Mythos 3. Entwicklungsgeschichtliche
Mythoskonzeptionen 4. Der Mythos und die Rechte der Phantasie
Schußbemerkungen Anmerkungen Bibliographie Namensregister Werkregister Abbildungsverzeichnis
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